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Finanzierungsberatung als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Ratsuchenden
Als „grotesk“ bewertete das Oberlandesgericht Nürnberg mit Urteil vom 23.03.2011 den Vorschlag einer Finanzierungsberaterin, beim Kauf eines Hauses fehlendes Eigenkapital durch den Erwerb einer weiteren, voll finanzierten Immobilie – hier einer Eigentumswohnung – zu ersetzen. Wegen „vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung“ muss die Beklagte nun nicht nur diesen Wohnungskauf rückgängig machen, sondern auch den Käufern Schadensersatz leisten.
Wie sich erst in der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht herausgestellt hatte, wollten die Kläger, ein junges Ehepaar russischer Abstammung, für sich und ihre zwei kleinen Kinder ein Reihenhaus erwerben. Sie hatten auch schon ein ganz bestimmtes Objekt am südlichen Stadtrand von Nürnberg im Auge, das ihnen gefiel. Als Problem stellte sich dabei aber heraus, dass die Eheleute keinerlei Eigenkapital besaßen und auch das monatliche Familieneinkommen – der Ehemann arbeitete als Kraftfahrer, seine Frau jobbte auf 400,00 € – Basis als Verkäuferin – mit ca. 2400,00 € nicht sehr hoch bemessen war.
Hilfesuchend wandten die in geschäftlichen Dingen gänzlich unerfahrenen Kläger sich daher an die Finanzberaterin B. Diese errechnete einen Kostenaufwand von 216.000,00 € für das Reihenhaus und vermittelte zwei Darlehen über insgesamt 171.000,00 €. Zusammen mit einem weiteren Kredit über 45.000,00 €, den ihnen ein anderer Finanzberater andiente, hätte das für den ersehnten Hauskauf ausgereicht. Wenn da nicht ein Haken gewesen wäre: Nachdem die Beraterin B. weitere Gespräche geführt hatte, meinte sie, die Kläger müssten entgegen der ursprünglichen Annahme nun doch eigenes Kapital nachweisen, um von den Banken überhaupt als kreditwürdig angesehen zu werden. Dies sei aber im Ergebnis kein Problem, denn für den Eigenkapitalnachweis sei der zusätzliche Kauf einer Eigentumswohnung geradezu ideal.
Dabei traf es sich – zumindest aus Sicht der Beraterin – gut, dass sie nicht nur Finanzberatungen durchführte, sondern auch zusammen mit ihrem Ehemann für eine Liegenschaftsgesellschaft – die im hiesigen Verfahren Beklagte – Immobilien vermittelte. Schnell hatte sie daher Bilder einer Eigentumswohnung in Nürnberg zur Hand, die sie den Klägern zum – ebenfalls voll finanzierten – Kauf für 129.000,00 € anbot. Ursprüngliche Bedenken der Kläger gegen den Erwerb von gleich zwei Immobilien, ohne irgendwelche Ersparnisse zu haben, verstand sie auszuräumen. Im November 2006 war es dann soweit und man schloss einen Kaufvertrag über die Eigentumswohnung, die die Kläger, nachdem die beklagte Gesellschaft noch Renovierungsarbeiten für ca. 10.000,00 € durchgeführt hatte, ab 01.01.2007 vermieten konnten.
Bald allerdings geriet die junge Familie in finanzielle Schieflage: Während sie die Darlehensraten für ihr Reihenhaus gerade noch regelmäßig aufbringen konnte, wurde die Finanzierung der Eigentumswohnung, die weniger Miete abwarf, als für sie an die Bank monatlich zu zahlen war, notleidend. Als dann in der Wohnung auch noch Schimmel entdeckt wurde, fochten die Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und zogen im Jahr 2008 vor das Landgericht Nürnberg-Fürth.
Dort hatten sie mit ihrer Klage auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags über die Eigentumswohnung und Ersatz der hierfür getätigten Aufwendungen zunächst keinen Erfolg: Weder konnte das Landgericht erkennen, dass die beklagte Vermittlungsgesellschaft Mängel der Wohnung arglistig verschwiegen hatte, noch sah es die Beklagte wegen ungenügender Aufklärung und Finanzierungsberatung in der Pflicht, Schadensersatz an die Kläger zu leisten.
Ganz anders wurde die Sach- und Rechtslage erst in der Berufungsinstanz bei dem Oberlandesgericht Nürnberg beurteilt. Nachdem die Kläger dort eingehend von den Richtern des Zweiten Senats unter dem Vorsitz von Dr. Ulrich Dettenhofer zu den Umständen des Immobilienkaufs befragt worden waren, stellte sich nämlich jetzt erst heraus, dass sie die streitgegenständliche Eigentumswohnung gar nicht isoliert erworben hatten, sondern lediglich, um hierdurch „Eigenkapital“ für den angestrebten Kauf „ihres“ Reihenhauses zu generieren. Auch wurde offenkundig, dass die beklagte Gesellschaft selbst gerade einmal fünf Tage vor dem Notartermin mit den Klägern die für 129.000,00 € veräußerte Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung zum Preis von 49.000,00 € erworben hatte.
Als „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ wertete der Zweite Senat das Oberlandesgerichts Nürnberg mit Urteil vom 23.03.2011 dieses Verhalten der Beklagten und sprach den Klägern Schadensersatz zu. Die Empfehlung der Beraterin B., das für den Erwerb eines Hauses fehlende Eigenkapital durch den gleichzeitigen Ankauf einer ebenfalls voll fremdfinanzierten Eigentumswohnung zu generieren, könne „nur als grotesk“ bezeichnet werden. Nach Auffassung des Senats hätte keine seriös arbeitende Bank in Kenntnis der wahren Verhältnisse der Kläger diesen gleichzeitigen Ankauf zweier Objekte finanziert. Dabei habe sich die Beraterin unter dem Deckmantel, trotz fehlenden Eigenkapitals eine Möglichkeit für den Erwerb eines Eigenheims gefunden zu haben, in das Vertrauen der Kläger eingeschlichen. Die damit einhergehende Existenzgefährdung der Kläger sei ihr völlig gleichgültig gewesen. Ihr und ihrem Ehemann, mit dem sie arbeitsteilig die Ersteigerung und den sofortigen Weiterverkauf der Eigentumswohnung betrieben habe, sei es ausschließlich um Gewinnmaximierung gegangen. Ein derartiges Geschäftsgebaren verstoße „massiv gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Das Verhalten ihrer Mitarbeiter müsse sich die beklagte Gesellschaft zurechnen lassen. Diese hat nunmehr die Wohnung zurückzunehmen und ca. 140.000,00 € an die Kläger zu leisten.
Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 23.03.2011, – 2 U 417/10 –
Quelle: OLG Nürnberg PM Nr. 13 vom 01.04.2011