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Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer – Chance oder Risiko?

 

I. Allgemeines

Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen auf mindestens 5 % dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen, insbesondere mit Schwerbehinderten, die bei der Agentur für Arbeit gemeldet sind (§ 71 Abs. 1 SGB IX).

Was viele Arbeitgeber nicht wissen:

Ist ein freier Arbeitsplatz zu besetzen, muss immer erst geprüft werden, ob die freie Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen oder einem ihm Gleichgestellten besetzt werden kann (§ 81 SGB IX). Nimmt der Arbeitgeber diese Prüfung nicht vor, hat dies gegebenenfalls unangenehme Konsequenzen, insbesondere kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung eines nicht behinderten Arbeitnehmers verweigern.

Einen Einstellungsanspruch begründet § 71 Abs. 1 SGB IX allerdings nicht. Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, entrichten sie für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz (lediglich) eine Ausgleichsabgabe. Die Zahlung hebt die Beschäftigungspflicht aber nicht auf.

Die Abgabe beträgt je unbesetzten Pflichtplatz

  • 105 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 3% bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz (derzeit 5%),
  • 180 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 2% bis weniger als 3%,
  • 260 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von weniger als 2%.

 

Sonderregelung:

Hat der Arbeitgeber jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätze, muss er nur einen schwerbehinderten Menschen einstellen und beschäftigen; andernfalls zahlt er je 105 €; hat er weniger als 60 Arbeitsplätze, muss er 2 Pflichtplätze mit schwerbehinderten Arbeitnehmern besetzen. Er zahlt dann 105 €, wenn er nur einen Pflichtplatz besetzt und 180 €, wenn er keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigt.

 

II. Vorteile der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer

Arbeitgeber – auch Kleinbetriebe, die nach o.g. Kriterien nicht der Beschäftigungspflicht unterliegen – können in vielen Fällen Förderleistungen für die Beschäftigung und Einstellung schwerbehinderter Menschen in Anspruch nehmen.

Sie werden gewährt als

  • finanzielle Zuschüsse zur Ausbildung von Menschen mit einer Schwerbehinderung,
  • finanzielle Zuschüsse bei Einstellung von Menschen mit einer Schwerbehinderung,
  • finanzielle Zuschüsse für Hilfen im Arbeitsleben der Menschen mit einer Schwerbehinderung.

Die Integrationsämter, die Agenturen für Arbeit oder andere Rehabilitationsträger (z.B. gesetzliche Renten- oder Krankenversicherung) prüfen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Förderung. Auch präsentieren die Bundesländer regelmäßig zeitlich befristete Sonderförderprogramme, bei denen vorrangig Arbeitgeber Förderleistungen erhalten, die ohne Beschäftigungspflicht oder über die Beschäftigungspflicht (§ 71 SGB IX) hinaus schwerbehinderte Menschen einstellen.

Voraussetzung: unbefristete oder für mindestens 12 Monate befristete Einstellung eines schwerbehinderten Menschen.

Höhe des Zuschusses: maximal 90% des Arbeitsentgelts zuzüglich des pauschalierten

Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag.

Dauer der Förderung: höchstens 24 Monate, bei schwerbehinderten Menschen ab 50 Jahren höchstens 36 Monate. Nach jeweils einem Jahr wird sie regelmäßig um mindestens 10% gekürzt. Eine teilweise Rückzahlungspflicht kann entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von 12 Monaten nach Ende der Förderung beendet wird (Ausnahmen: Kündigungsgrund für Arbeitgeber, Eigenkündigung oder Erreichen des Rentenalters).

 

III. Nachteile der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer

1. Erhöhter Kündigungsschutz:

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen bedarf zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Wird sie erteilt, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats erklären. Die eigentliche Kündigungsfrist muss dann noch mindestens vier Wochen betragen (§ 86 SGB IX). Voraussetzung für den erhöhten Kündigungsschutz ist der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung.

Aber:

Ist der Schwerbehinderte noch nicht länger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt, ist die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nicht erforderlich (§ 90 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

Weitere Ausnahmen nach § 90 SGB IX, d.h. kein erhöhter Kündigungsschutz bei

  • schwerbehinderten Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung auf Grund eines Sozialplanes haben,
  • schwerbehinderten Arbeitnehmern, die Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben, wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und sie der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprechen.
  • bei Entlassungen aus Witterungsgründen, sofern die Wiedereinstellung bei Wiederaufnahme der Arbeit (bei besserem Wetter) gewährleistet ist.

Hat das Integrationsamt die Zustimmung erteilt, kann der Arbeitnehmer hiergegen Widerspruch einlegen und bei seiner Erfolglosigkeit Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Allerdings haben Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung. Der Arbeitnehmer hat aber auch die Möglichkeit, Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einzureichen.

Sollte das Integrationsamt meinen, eine Zustimmung sei gar nicht erforderlich, so hebt dies die „Kündigungssperre“ auf und die Behinderung ist nur noch bei der Interessenabwägung im Kündigungsschutzverfahren zu berücksichtigen.

2. Schwerbehinderte haben Anspruch auf bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen im Urlaubsjahr (§ 125 SGB IX). Dies gilt aber nicht für Gleichgestellte (vgl. § 63 Abs 3 SGB IX).

3. Renten, welche wegen der Behinderung bezogen werden, werden auf das Arbeitsentgelt nicht angerechnet (§ 123 SGB IX).

4. Schwerbehinderte Menschen werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt (§ 124 SGB IX).

5. Für in Heimarbeit beschäftigte und diesen gleichgestellte schwerbehinderte Menschen beträgt die Kündigungsfrist vier statt zwei Wochen (§ 127 Abs. 2 SGB IX) gilt.

 

IV. Fazit

Die Beschäftigung eines schwerbehinderter Menschen kann eine echte Alternative sein. Je nachdem, wo er eingesetzt wird, ist er eine vollwertige Arbeitskraft. Auch sind gerade für Existenzgründer die staatliche Fördermaßnahmen zur Einstellung von Schwerbehinderten interessant. Andererseits haben viele Arbeitgeber Angst, einen schwerbehinderten Menschen nicht mehr „los zu werden“. Letztendlich muss der Arbeitgeber daher immer den konkreten Einzelfall beleuchten, um eine für sich tragfähige Entscheidung zu treffen.